Bericht zum Workshop „Nie wieder!“ …aber wie?
Zur (Nicht-) Bedeutung des Nationalsozialismus in der Rechtsextremismusprävention
Am 30. Juni 2016 im Max-Mannheimer-Studienzentrum
Was können Gedenkstätten und Gedenkstättenbesuche leisten? Mit seinen Thesen zu den Funktionen und Grenzen von Erinnerungspraxis an Orten historischen Unrechts regte der Referent Michael Sturm von der ‚Villa Ten Hompel’ die Gedankengänge der Teilnehmenden an. Kann ein Besuch von Gedenkstätten tatsächlich gegen rechtsextreme Ideologien immunisieren? Wohl nicht – nicht einfach so. Verordnete Zwangsbesuche (für rechtsaffine Jugendliche) oder Führungen ohne Vor- und Nachbereitung, da sind sich die Diskutanten einig, können nicht die Lösung sein. Dennoch sollte zuerst die umgekehrte Frage aufgeworfen werden: Was wäre mit unserer politischen Kultur passiert, wenn die Erinnerungsorte nicht – gegen damals vorherrschende Widerstände – erkämpft worden wären? Die Auseinandersetzung mit historischen Kriegs- und Menschheitsverbrechen bietet Ausgangspunkte und Anregungen für ein Geschichts- und Gesellschaftsbewusstsein – ohne dem das vielzitierte Lernen aus der Geschichte unmöglich ist. Sie sind wichtig, weil hier auch die einzelnen Schicksale aufgezeigt werden können und weil Geschichte auch emotional erlebbar wird.
Wie Michael Sturm betont, seien die Gedenkstätten als ‚Geschichte von unten’ gerade wegen eines Aufkommens rechter Ideologien in den 1950er und 60er Jahren erstritten worden. Und so kann auch en gros behauptet werden, dass die ausdifferenzierte Gedenkstättenlandschaft eine politische Kultur fördere, welche die kritische Auseinandersetzung mit aktuellen Erscheinungsformen von Rechtextremismus und Rassismus als wichtige gesellschaftliche Aufgabe befördere. Dagegen stellt Sturm aber auch die provokante These auf: „Gedenkstätten sind ungeeignete Orte für pädagogische Maßnahmen zur Rechtsextremismusprävention.“ Es handle sich um „kurzzeitpädagogische Situationen“, die keinesfalls ein Allheilmittel sein können. Das eröffnet die Frage und Herausforderung: Wie werden Gedenkstättenbesuche in Geschichtsunterricht, Studientagen und nachbereitende Reflexionen eingebettet? Die Erwartungen an Gedenkstättenbesuche sind vielleicht – so darf man sich im Stillen denken – auch deswegen oft so überhöht, weil es Erwachsene, die mit rechtsaffinen Jugendlichen oder mit neurechtem Gedankengut konfrontiert werden, entlastet. Aber genau diese Entlastung kann nicht gelingen.
Trotzdem: Gedenkstätten können geeignete Orte für pädagogische Maßnahmen zur Rechtsextremismusprävention sein, weil sie die Konsequenzen von Diskriminierungs- und Ausgrenzungspraktiken aufzeigen, weil es gerade „andere“ Orte sind, die „Geschichte“ oder abstrakte Geschichtsdaten erlebbar machen, weil mit historischen Quellen, die Analyse- und Urteilsfähigkeit erlernt werden kann und weil Bezüge zur eigenen Lebenswelt hergestellt werden können. Michael Sturm konfrontiert die Teilnehmenden des Workshops mit einer skeptischen These: Gedenkstätten und die in Führungen eröffneten Lebens- und Leidensgeschichten bieten (nur) Anlässe, sich mit Geschichte(n), mit Lesarten und Interpretationen des Vergangenen, mit den aus der Gegenwart konstruierten „Vergangenheiten“ und ihren „Lehren“ auseinanderzusetzen. Die Thesen von Michael Sturm waren gerade deswegen so anregend, weil er mit ihnen einen Denkraum aufspannt. Gedenkstätten sind keine Gegengifte sondern mögliche Anfangspunkte für Geschichtsbewusstsein und eine differenzierte Auseinandersetzung mit Geschichte. Sie bieten Bildungsanlässe. Klar wird dabei: Die Auseinandersetzung mit Rassismus und Rechtsextremismus sowie die Frage, wie gegen ein neues Aufkommen von feindlichen Einstellungen gegen Fremde, Flüchtlinge, gegen Homosexuelle oder andere „Andere“ vorgegangen werden kann, erfordert viel mehr als das Lernen aus der Geschichte der Konzentrationslager und des Nationalsozialismus. Es braucht eine Auseinandersetzung mit der Geschichte, die uns und unsere Gegenwarten gemacht hat. Gerade der Fokus auf die Konzentrationslager – als den Orten des „Zivilisationsbruchs“ – kann aber den Blick auf die Geschichte des Kolonialismus, die lange Geschichte rassistischer Diskurse und andere Linien der Gesellschaftsgeschichte versperren. Rechtsextremismusprävention braucht also mehr als „Gedenkstättenbesuche“. Das ist selbstverständlich nicht als Absage an Gedenkstätten und das was in ihrem Umfeld an Bildungspraxis entwickelt worden ist zu verstehen.
Nach den anregenden Thesen von Michael Sturm dürfen sich die Teilnehmenden in Kleingruppen überlegen, wie sie eine Schülergruppe beraten würden, die wegen sich häufender rechter Schmierereien und Aussagen in ihrer Schule, „nach Dachau“ fahren wollen. Wie kann also bei einer Jugendfahrt die Brücke geschlagen werden vom Lernen an historischen Orten der NS-Gewaltherrschaft und dem antifaschistischen Engagement in der Gegenwart? Auch wenn es selbstverständlich keine einfachen Rezepte gibt, ist klar: Die gemeinsame, intensive Vorbereitung – insbesondere die auf Augenhöhe geführte Diskussion über Sinn und Zweck solcher Reisen – und die Nachbereitung sind unerlässlich.
Viele der durch den Referenten gegebenen Anregungen und in den Diskussionen entfalteten Gedanken können in einem Bericht nicht wiedergegeben werden. Zum Schluss des fast vierstündigen Workshops und damit auch der kleinen Workshopreihe, die das Max-Mannheimer-Studienzentrum und der Kreisjugendring Dachau mit Förderung durch das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ und dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zusammen gestaltet haben, darf daher behauptet werden: Wer nicht dabei war, hat was verpasst.