Es ist eine gespannte Runde von knapp 50 Leuten, die sich an einem Donnerstagabend im Erchana-Saal im Ludwig-Thoma-Haus in Dachau zur „Demokratiekonferenz“ zusammengefunden hat. Zusammen wollen sie diskutieren, ob und wie sehr unsere Gesellschaft gespalten ist, wie es dazu kommen kann und wie sich vielleicht dagegen arbeiten lässt. Unter den Gästen sind auch der Landrat, Stefan Löwl, der Geschäftsführer des Kreisjugendring Dachaus, Ludwig Gasteiger, sowie der Sprecher des Runden Tischs gegen Rassismus e.V. Dachau, Peter Heller.
„Es ist gar kein Zweifel, dass, wenn sie das Radio an- oder die Zeitung aufmachen, Sie hören, wir lebten in einer gespaltenen Gesellschaft – doch ist das wirklich so?“ Der Mann, der dort spricht, ist Jürgen Kaube, Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) und Autor des Buches „Die gespaltene Gesellschaft“. Ihn konnte der Runde Tisch gegen Rassismus Dachau e.V. zusammen mit der Partnerschaft für Demokratie im Landkreis Dachau für den Auftakt der Veranstaltungsreihe 2024 „Informieren, vernetzen, aufstehen!“ gewinnen.
Herr Kaube selbst ist anderer Meinung, er sieht die Gesellschaft in Deutschland nicht als gespalten, wie er in seinem Buch und in seinem Vortrag deutlich macht. Sicherlich gebe es unheimlich viel Streit in modernen Gesellschaften. Das liege an einem hohen Grad von Individualität und Abweichung, egal in welcher Hinsicht, die unsere Gesellschaft zulässt.
Selbst die USA sieht Herr Kaube nicht als gespalten an. Zwar sei die Gesellschaft dort stark polarisiert; der Streit sei noch viel unversöhnlicher als in Deutschland. Politische Gegnerschaft werde zu Feindschaft. Das äußere sich in homogen in Demokrat*innen und Republikaner*innen aufgeteilten Wohnbezirken, einem stark parteilichem Medienkonsum und einem sehr politisch geprägten Leben, über die Kirche bis hin zur Heirat.
Trotzdem seien beide Gesellschaften nicht genügend „versäult“. Das bedeutet, dass das alltägliche Leben nicht ausschließlich in einzelne ideologische Gruppen aufgeteilt ist. In den Niederlanden der Vergangenheit beispielsweise hätte es eine klare Aufteilung der Arbeitsplätze, der Krankenhäuser oder der Schulen gegeben. Eine solch tiefgehende Zersplitterung der Gesellschaft gebe es weder in den USA noch in Deutschland – in letzterem gebe es im Gegenteil sogar noch einen großen Anteil an Wechselwähler*innen.
Was sind für Herrn Kaube dann aber wirklich gespaltene Länder? Und was unterscheidet sie von Deutschland, den USA oder anderen Gesellschaften, dass er sie als gespalten klassifiziert? Besonders zwei Beispiele hebt er hervor: Israel und Nordirland. So gingen in Nordirland 95 Prozent aller Schüler*innen auf ein ihrer Konfession entsprechendes Gymnasium, die Hauptstadt Belfast sei in katholische und protestantische Viertel aufgeteilt – beide Länder seien also versäult, wie es Herr Kaube bezeichnet. Gleichzeitig sind es aber nur zwei voneinander getrennte Säulen, anders als in den angesprochenen historischen Niederlanden. Die beurteilt Herr Kaube nämlich ebenfalls als nicht gespalten, denn dort seien die Säulen zu inhomogen gewesen. Damit meint er, dass es innerhalb der Säulen zu viele Gruppen gegeben habe, von Katholik*innen, über Protestant*innen und säkuläre bis hin zu Sozialist*innen. „Die Sache dort wurde zu unübersichtlich, was macht beispielsweise ein sozialistischer Katholik?“, kommentiert Jürgen Kaube dazu.
Zum Schluss erörtert Herr Kaube auch, weshalb wir uns als Gesellschaft als gespalten wahrnehmen. Zuerst macht er die Rhetorik in Wahlkämpfen dafür verantwortlich: „In Wahlkämpfen kann man ohnehin alles behaupten, was man möchte und sich ausdenken kann. Das gilt für alle Parteien“, so Kaube. Dazu sieht er ein Problem in Talkshows, die er mehr mit Schauspiel, die auf Spannung bei den Zuschauer*innen aus sind, vergleicht, als mit tatsächlicher politischer Diskussion.
Nach Herrn Kaubes Vortrag bekamen dann noch die Besucher*innen die Chance, ihre Fragen an den Redner zu stellen. Ein Angebot, dass nur zu gern genutzt wurde, um mit Herrn Kaube ins Gespräch zu kommen. So entstand beispielsweise eine lebhafte Debatte um den (fehlenden) Respekt, der Lehrer*innen entgegengebracht wird. Moderiert wurde dieser Abschnitt in Salonatmosphäre vom ehemaligen Bezirksheimatpfleger Dr. Norbert Göttler.